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Über Scheinriesen. Und was sie mit meiner Angst zu tun haben.

Kennst du noch Herrn Tur Tur, den Scheinriesen? Ein Klient im Coaching hat mich neulich an diese literarische Figur aus der Welt von Michael Ende erinnert. Wir sprachen darüber, dass wir manchmal Angst vor etwas haben, das bei näherer Betrachtung nicht mehr so bedrohlich ist, wie zunächst befürchtet.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer treffen den Scheinriesen in der Wüste am Ende der Welt. Er erscheint ihnen als riesenhafte Gestalt am Horizont, die vor allem Jim sehr verängstigt. Als sie näher kommen, begegnet ihnen überraschend ein freundlicher Mann von ganz normaler Größe, der sich als Herr Tur Tur vorstellt. Er erklärt den Reisenden, dass er ein Scheinriese sei: Er hat die Eigenschaft, dass er immer größer wirkt, je weiter er entfernt ist.

Manchmal fürchten wir uns vor einem Scheinriesen, haben also Angst vor etwas, das wir durch unsere innere Überzeugung größer machen, als es ist. Zum Beispiel ein scheinbar übermächtiger Chef, der uns einschüchtert und unter Druck setzt, aber eigentlich selbst überfordert und unsicher ist. Wenn wir ihn aus einer anderen Perspektive betrachten, stellen wir vielleicht fest, dass er gar nicht so furchteinflößend ist, wie wir dachten.

Wie kann ich also mit meiner Angst umgehen, wenn mich ein Scheinriese erschreckt?

Ein erster Schritt ist, die Angst anzunehmen und zu akzeptieren. Angst ist eine natürliche und sinnvolle Emotion, die mich vor Gefahren warnen und schützen will. Ich muss mich nicht für meine Angst schämen oder sie verdrängen. Ich kann sie als einen Teil in mir anerkennen und ihr mit Mitgefühl begegnen. Ich kann mir sagen: „Ich habe Angst, und das ist okay. Ich bin nicht allein damit. Ich kann damit umgehen.“

Im zweiten Schritt kann ich die Situation dann schon besser anschauen: Was genau macht mir Angst? Wie wahrscheinlich ist es, dass das befürchtete Ereignis eintritt? Wie kann ich mich darauf vorbereiten oder darauf reagieren?

So kann ich mich langsam dem Scheinriesen nähern und meine Vorstellungen über ihn hinterfragen. Oft sind es meine erlernten Überzeugungen, die meine Angst verstärken. Zum Beispiel bin ich überzeugt, dass ich etwas nicht schaffen kann, weil ich nicht gut genug dafür bin. Oder dass ich keine andere Wahl habe, als mich dem übermächtigen Scheinriesen zu unterwerfen. Diese Gedanken sind aber nicht unbedingt die ganze Wahrheit, sondern meine Interpretation der Situation. Ich kann mich fragen: Stimmt das wirklich? Gibt es Beweise dafür? Gibt es andere Möglichkeiten? Was würde ich einem Freund raten, der in meiner Situation ist?

Ein dritter Schritt ist, die Situation für mich neu zu gestalten. Was brauche ich, um an der Angst zu wachsen? Ich kann mir kleine Schritte setzen, die mich meinem Ziel näher bringen. Ich kann mir Unterstützung suchen, die mich ermutigt und bestärkt. Ich kann versuchen die freundliche und unbedrohliche Seite des Scheinriesen kennenzulernen. Zum Beispiel könnte ich mir sagen: Ich kann das schaffen, denn ich habe schon viele Herausforderungen gemeistert. Ich bin gut genug, ich habe viele Stärken und Fähigkeiten. Ich habe eine Wahl, ich kann mich für mich selbst einsetzen oder nach Alternativen suchen. Indem ich meine innere Überzeugung erweitere, schaffe ich es, meine Angst zu verringern.

So kann der Scheinriese ein neuer Freund werden. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Tur Tur.